Dringender Appell für Gleichstellung und Vielfalt: Forderungen der LSBTIQ*-Gemeinschaft an die Hessische Landespolitik

Sehr geehrte Politikerinnen der CDU Hessen, sehr geehrte Politikerinnen der SPD Hessen,


Sie haben kürzlich den offenen Brief des Vereins vielbunt e.V. erhalten, welcher in der Zwischenzeit von zahlreichen hessischen Organisationen unterzeichnet wurde. Als direkte Reaktion auf Ihre Aussagen, die wir als besorgniserregend empfinden, hat sich ein neues Bündnis gebildet. Dies betrifft sowohl die Inhalte des Sondierungspapiers als auch Ihre Ankündigungen während der Koalitionsgespräche. Das Bündnis trägt den Namen “Vielfalt für ein starkes Hessen”. Es repräsentiert die queere Community Hessens in ihrer vollen Vielfalt. Unsere breite Unterstützung und Vielfalt wird durch die zahlreichen

Unterzeichnerinnen dieses Briefes verdeutlicht. Mit diesem Schreiben knüpfen wir an den bereits zugestellten offenen Brief an und bringen Ihnen unsere weiterhin hohen Erwartungen und Befürchtungen erneut zum Ausdruck. Hessen hat in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Rechte und das Wohlergehen der LSBTIQ-Community viel erreicht – uns treibt angesichts Ihrer in Ihrem Eckpunktepapier veröffentlichten Positionen allerdings die Sorge um, dass sich dies grundlegend verändern wird.

Zur Landtagswahl 2023 haben die queeren Vereine und Verbände Hessens Wahlprüfsteine zu queeren Themen erarbeitet. Wir wollten wissen, wie sich die demokratischen Parteien zu den verschiedenen Themen positionieren, die der LSBTIQ*-Community in Hessen wichtig sind und wie sie diese in der kommenden Legislaturperiode bearbeiten möchten. Die Antworten der Parteien wurden von den initiierenden Organisationen, dem LSVD Hessen, VelsPol und vielbunt, gemeinsam beraten und ausgewertet. Es hat sich gezeigt, dass noch immer erheblicher Handlungsbedarf besteht, um die Anliegen und Bedürfnisse unserer Community adäquat zu adressieren. In vielen Punkten reichen auch Ihre Vorschläge und Maßnahmen nicht aus, um den Anforderungen an eine gleichberechtigte Gesellschaft gerecht zu werden oder sich ihnen zumindest anzunähern.

Wir fordern Sie daher erneut auf, unsere Anliegen ernst zu nehmen und sich verstärkt für die Umsetzung folgender Forderungen einzusetzen (Hinweis: nach jedem Punkt können Sie die Kritik der Verbände nachlesen):

  1. „Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt“ fortentwickeln und Förderung ausweiten: Der Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt, der gerade erst fortgeschrieben wurde, muss auch in Zukunft unter Beteiligung der queeren Vereine Hessens weiterentwickelt und finanziell auskömmlich im Haushalt abgebildet und verstetigt werden.
    Kritik: Die CDU verwies in Ihren Antworten auf die bisherige Novellierung, lässt aber weitergehende konkrete Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung vermissen. Die SPD, obwohl sie eine Verbesserung und finanzielle Aufstockung verspricht, bleibt in der Darlegung konkreter
    Umsetzungsschritte vage.
  2. Hessen tritt LSBTIQ-feindlicher Hassgewalt entgegen: Wir haben Sie gefragt, wie Sie dafür sorgen wollen, dass das Engagement des Landes gegen LSBTIQ-feindliche Hassgewalt verbessert und der Schutz sowie die Beratung von Betroffenen nachhaltig verbessert werden können?
    Kritik: Die CDU spricht sich für eine Null-Toleranz-Politik aus, ohne neue Initiativen vorzuschlagen. Die SPD postuliert eine Strategie gegen Hasskriminalität mit einigen konkreten Maßnahmen. Beides ist im bisherigen Eckpunktepapier der künftigen Koalition nicht zu finden.
  3. Regenbogenfamilien stärken – Akzeptanz verbessern: Kinder und Eltern in Regenbogenfamilien müssen in Verwaltung, Familienhilfe, Jugendämtern, Kitas und Schulen anerkannt und gleichberechtigt gefördert werden. Was wollen Sie tun, um das Bewusstsein für einen sach- und zeitgemäßen Umgang in diesen Bereichen zu fördern?
    Kritik: Während die CDU keine konkreten Maßnahmen bietet, die über Sensibilisierung und Qualifizierung hinausgehen, möchte die SPD unter anderem einen Plan für eine Diversitäts-Quote in der Landesverwaltung vorlegen. Wir möchten Sie an diesen Punkt erinnern und fordern Sie auf, ihn in Ihren laufenden Verhandlungen aufzugreifen.
  4. Respekt und Vielfalt in Bildung und Schule voranbringen: Die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt muss in Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften verankert und Unterrichtsmaterialien LSBTIQ-inklusiv ausgestaltet sein – auch bei freien Schulen. Wie wollen Sie das gewährleisten und Beratungsangebote vorhalten?
    Kritik: Die CDU beschränkt sich in ihrer Antwort auf bestehende Lehrpläne und Fortbildungen, ohne neue, gezielte Ansätze zu bieten. Außerdem sei altersgerecht, zurückhaltend und ohne Beeinflussung über die biologischen und sozialen Tatsachen zu informieren. Diese Formulierung lässt maximal viel Spielraum und kann im Zweifel queerfeindlich ausgelegt werden. Die SPD verspricht queere Themen in die Lehrerinnenausbildung zu integrieren und nennt konkrete Details zur Umsetzung. Außerdem wird eine Unterstützung des SCHLAU-Projektes gefordert. Daran werden wir Sie messen und erwarten, dass sich dieser Gedanke in Ihrer Koalitionsvereinbarung wiederfindet.
  5. Diskriminierungsschutz ausbauen: Wir wollten von Ihnen wissen, ob Sie nach dem Vorbild von Berlin ein Hessisches Antidiskriminierungsgesetz (HADG) auf den Weg bringen werden und die Arbeit des ADiBe Netzwerks Hessen auskömmlich finanzieren wollen?
    Kritik: Die CDU sieht keinen Bedarf für ein HADG, während die SPD zwar ein solches Gesetz unterstützt, aber keine klaren Schritte zur Umsetzung angibt. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz viele Vorteile gegenüber der Anpassung etlicher einzelner Vorschriften hat. Dies war auch das Ergebnis eines vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration in Auftrag gegebenen Gutachtens. Im Sinne einer konsistent fortgesetzten Politik über Legislaturperioden hinweg wäre es der logische Schritt, das Ergebnis dieses Gutachtens aufzugreifen. Für uns von besonderer Bedeutung ist die nachhaltige Stärkung der Antidiskriminierungsstelle und ihrer Arbeit im HMSI.
  6. Verfassung LSBTIQ-inklusiv ausgestalten: Werden Sie im Bundesrat die LSBTIQ-inklusive Ergänzung von Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz unterstützen, einen entsprechenden Antrag einbringen und sich auch in Hessen für eine LSBTIQ*-inklusive Ergänzung der Verfassung einsetzen?
    Kritik: Die CDU sieht keinen Bedarf für eine explizite Erwähnung der sexuellen Orientierung in der Verfassung, während die SPD zwar die Ergänzung auf Bundesebene befürwortet, aber auf Landesebene nur einer Überprüfung zustimmt. Beides greift aus unserer Sicht zu kurz.
  7. Für Selbstbestimmung und Vielfalt im Bundesrat: Werden Sie sich für eine Modernisierung des Familien- und Abstammungsrechts einsetzen, die Regenbogenfamilien absichert und werden Sie für die geschlechtliche Selbstbestimmung von trans*, nicht-binären und intergeschlechtlich geborenen Menschen im Bundesrat stimmen?
    Kritik: Die CDU beharrt auf den bestehenden Regelungen, die die Selbstbestimmung erschweren könnten. Die SPD setzt sich dafür ein, dass queere Menschen „die gleiche gesellschaftliche Teilhabe genießen können“, weshalb wir aufgrund der Formulierung erwarten, dass unserer Forderung vollumfänglich zugestimmt wird. Dies muss sich im neuen Koalitionsvertrag wiederfinden.
  8. Trans*, intergeschlechtlich geborene und nicht-binäre Menschen (TIN) in Hessen stärken: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die strukturelle Benachteiligung von TIN in Verwaltung, Schule und Jugendarbeit in Verantwortung des Landes Hessen abgebaut und Selbstvertretungen nachhaltig gestärkt werden?
    Kritik: Die CDU bietet keine konkreten Maßnahmen, die über Sensibilisierung und Qualifizierung hinausgehen. Die SPD legt unter anderem einen Plan für eine Diversitäts-Quote in der Landesverwaltung vor.
  9. Queeres Leben im Alter fördern: Wir wollten auch von Ihnen wissen, wie Sie abseits des Aktionsplans dafür sorgen wollen, dass queere Seniorinnen sich in den Einrichtungen der Altenarbeit und -hilfe sicher und wertgeschätzt fühlen und ihre Teilhabe in Seniorinnenvertretungen erhöht wird?
    Kritik: Die CDU bietet keine neuen Initiativen oder spezifische Verbesserungsvorschläge. Die SPD betont dagegen die Notwendigkeit der Unterstützung mit konkreten Umsetzungsplänen. Bisher lesen wir hiervon nichts, erwarten jedoch eine klare Positionierung im Koalitionsvertrag.
  10. LSBTIQ* im Rundfunkrat und in Medienversammlung Sitz und Stimme geben: Abschließend wollten wir wissen, ob Sie bis zum Ende der neuen Legislatur dafür sorgen wollen, dass LSBTIQ* auch im Rundfunkrat des HR sowie in der Versammlung der Medienanstalt Hessen eine Vertretung bekommen?
    Kritik: Die CDU vermeidet konkrete Zusagen zur Integration von LSBTIQ– Vertreterinnen in Medieninstitutionen. Die SPD möchte zwar die Sichtbarkeit queerer Identitäten erhöhen, aber konkrete Maßnahmen bleiben unklar. Beides ist zu wenig, um der gesellschaftlichen Vielfalt in adäquater Form Rechnung zu tragen.

Verehrte Koalitionsparteien,

wir appellieren an Sie, die Bedürfnisse und Rechte aller Menschen in Hessen zu schützen und zu
garantieren. Angesichts des erodierenden gesellschaftlichen Zusammenhalts ist es entscheidend, den
Werten einer offenen, demokratischen und vielfältigen Gesellschaft gerecht zu werden, für die wir uns
stark machen und die auch Hessen in den vergangenen Jahren als Bereicherung verstanden hat.
Wir erwarten, dass unsere Anliegen von Ihnen adäquat reflektiert und in konkrete politische Maßnahmen
umgesetzt werden. Die vorangehende Auslistung dürfen Sie deshalb ausdrücklich als Erinnerung an Ihre
eigenen Worte verstehen.

Mit freundlichen Grüßen
Die Organisationen des Bündnis “Vielfalt für ein starkes Hessen”

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